(Interview auf Deutsch)

Timo, wie erklärst du die Kunstinstallation «Value Manifesto» in einfachen Worten jemandem, der mit Blockchain-Technologie nicht allzu vertraut ist?
Value Manifesto ist ein Kunstwerk, das seinen eigenen Marktwert (in Schweizer Franken) anzeigt. Es gibt 250 Exemplare weltweit, die nichts anderes tun und können. Das Pionierhafte an dem Konzept ist, dass die Blockchain-Technologie die Grundlage schafft, die Preisentwicklung und den Handel komplett transparent darzustellen. Jeder kann mitmachen, jeder teilhaben. Blockchain ist so revolutionär, da es bestehende Informationen bei einer Änderung nicht ersetzt, sondern ergänzt. Diese technologische Möglichkeit wird unsere Kultur im Positiven verändern, da bin ich mir sicher.

Ein kurzer technischer Exkurs:Die archaisch wirkenden Nixie-Röhren stehen im Kontrast zu ihrer hochmodernen Kommunikationsleistung. Über einen IoT-Transponder (Internet of Things) auf der Platine, der auch die Nixieröhren mit Strom versorgt, verbinden sich die sieben Elemente über WiFi und das Internet mit der Schnittstelle (API) der Value Manifesto-Handelsplattform und fragen in Echtzeit den Handelswert ihres Tokens ab. Sieben Anzeigetafeln können folglich einen maximalen Wert von 9.999.999 Schweizer Franken anzeigen.

Die Botschaft von Value Manifesto mag auf den ersten Blick fatal und zynisch wirken: Die Reduktion des Kunstwerks auf seinen eigenen Preis, handelbar wie ein Bitcoin als rein digitaler, intrinsischer Wert – für viele Kunstliebhaber ein schauderhaftes Szenario. Doch als ein längerfristiges Experiment soll mit den Erkenntnissen aus Value Manifesto der Einsatz der Blockchain-Technologie für den Kunstmarkt, aber vor allem auch für die Kunstwissenschaft und die Forschung geprüft werden. Denn die dezentrale Funktionslogik der Blockchain hat als revolutionäre Technologie die Möglichkeit, der Menschheit vor allem einen uneingeschränkten und transparenten Zugang zu Informationen über Kunst und Kulturgut zu gewährleisten.

Die Idee zu dieser Verschmelzung von Technologie und Kunst entstand ja, weil mich die Intransparenz des Kunstmarktes geärgert hat. In und mit der Kunst durfte man alles thematisieren, was materielle, politische, religiöse wie sexuelle Abarten ausmachen konnten. Nur ein Thema schien in vielen Bereichen der Kunst doch heilig: das Geld und sein Markt. Der Preis der Kunst war unzweifelhaft, der preisgestaltende Galerist oder Spezialist nicht anfechtbar. Kunst darf alles … auch alles kosten. Die radikale Transparenz von Value Manifesto zeigt: Technologie kann zu Transparenz verhelfen. Wir hoffen eine breite Gruppe von Menschen erreichen zu können, die sich für Kunst, Kunstgeschichte, Philosophie oder Technologie interessieren (oder eben alles zusammen). Das Interesse wird die Anzahl der Transaktionen bestimmen. Es gibt ja 250 Exemplare, die hypothetisch ständig den Besitzer wechseln können. Wir sehen es als Experiment – als Pionierprodukt betreten wir neues und unbekanntes Terrain.

Ein wichtiger Schritt, denn der Kunstmarkt ist einer der wenigen noch existierenden Märkte, die unvollkommen, intransparent und damit gewissermassen auch ineffizient sind. Die entscheidenden Informationen über Nachfrage, Angebot und Preise werden nach wie vor (wie seit dem Mittelalter) mündlich auf Messen und Auktionen weitergegeben. Es gehört zum guten Ton, Kunst nicht als Anlageobjekt, sondern als Liebhaberei zu betrachten: Dennoch ist auch bekannt, dass Kunst als Kapitalanlage durchaus rentabel sein kann, wenn man das nötige Kunstmarktwissen und Geduld mitbringt. Wie wäre es, wenn die Kunst ihre Autonomie vom Markt einfordern und durchsetzen würde? Nichts weniger als das hat Value Manifesto zum Ziel.

Das Projekt hat durchaus eine Verbindung zu oder gar seine Wurzeln in Finnland. Mit dem Aufstieg Finnlands zur Technologie-Nation in den 1990er-Jahren gewann auch die finnische Kunst im Ausland zunehmend an Bekanntheit. Meine Mutter ist wohl eine der ersten, wenn nicht die erste Verlegerin, die seit 1971 mit der Edition Partanen zeitgenössische finnische Kunst auf ausländischen Messen wie der Art Basel gezeigt hat: Matti Kujasalo, Lars-Gunnar Nordström, Lauri Laine… Ihre Produktion von Editionen hat mich inspiriert, Auflagenkunst auf den nächsten technologischen Stand zu bringen.

Ich wurde in Espoo geboren, verbrachte meine Schulzeit aber auf einem Internat im Schwarzwald. Nach dem Abitur zog es mich für das Studium der Rechtswissenschaften und Kunstgeschichte in die Schweiz. Grund dafür war unter anderem die internationale Kunstszene im Land.

Kulturell interessiere ich mich sehr für Fremdes und Neues, Interdisziplinäres und Sinnliches. Das kann Küche wie Kunst sein. Wenn es zum Denken anregt und inspiriert, weckt es mein Interesse.

Mein persönliches kulturelles Highlight in diesen schwierigen Zeiten der weltweiten Isolation durch CoVid-19 ist die Erkundung der Online-Präsenzen der grossen Museen wie dem KIASMA online Portal, Amos Rex mit Auszügen seiner aktuellen Generationsausstellung oder auch Kansallismuseo mit viel Informationen zur Arbeit des Museums.

 

Weitere Informationen zum Kunstprojekt Value Manifesto:
www.valuemanifesto.ch

 

Kurzbiografie: 
Timo Niemeyer (Jg. 1983) wuchs in Finnland, Frankreich und im Schwarzwald auf. Timo studierte Kunstgeschichte, Sozialanthropologie und Rechtswissenschaften in Zürich. Er hat für verschiedene europäische Galerien gearbeitet, eine US-amerikanische Kunstsammlung betreut und die Onlinekunstplattform Artusiast als Managing Director mit aufgebaut und ihren Verkauf an die New Yorker Artnet AG im Jahr 2017 begleitet. Seit 2019 ist er Geschäftsführer des Kunsthandelsunternehmes Kunstkontor Basel. Mit der Entwicklung des Value Manifestos leistet er 2018 seinen ersten künstlerisch-theoretischen Beitrag. Mit seiner Frau Daniela und seiner dreijährigen Tochter Johanna zusammen wohnt er im Basler Dreiländereck, das er für seine kulturelle Vielfalt und die zahlreichen Museen schätzt. Er verbringt seine Freizeit gerne mit Reisen, Kochen und Ausflüge in die Wildnis.